5. Sinfoniekonzert (Staatstheater Darmstadt)

SINFONIEKONZERT Will Humburg gelingt eine fesselnde Kombination von Mozart und Dallapiccola

DARMSTADT – Etwas stimmt hier nicht. Eigentlich versammelt sich das Orchester auf offener Bühne zu den Sinfoniekonzerten. Am Sonntagmorgen aber bleibt der Vorhang im Großen Haus des Darmstädter Staatstheaters geschlossen, und als er sich hebt, sitzen die Musiker seitlich zum Publikum. Generalmusikdirektor Will Humburg wird die Aufführung von der Eckfähnchen-Position vorne rechts aus leiten. Macht nichts. Wie er Mozarts Requiem angeht, hat kantiges Profil. Zügig fließend auf der einen Seite, gleichzeitig aber auch mit jähen Akzentuierungen, die den transparenten Orchesterklang dynamisieren. Die von Thomas Eitler-de Lint vorbereiteten Chöre, der Opernchor des Hauses und der Musikverein Darmstadt, sind engagiert bei der Sache, wenn auch nicht durchweg einheitlich, was die Wortverständlichkeit bisweilen einschränkt. Aber insgesamt fesselt diese Aufführung ihr Publikum, nicht zuletzt durch starke Gesangssolisten: den behutsam dramatisch eingesetzten Sopran von Natalie Carl, den hell timbrierten Tenor von Raymond Very, den klar deklamierenden Alt Anna Toneevas und den beweglichen Bass von Nicolas Legoux.

Der Kerkermeister lässt die Töne lügen

Das wäre allein ein schönes Ereignis. Aber die kleine Verunsicherung des Beginns war nur der Hebel, der die klassische Konzertsituation aufbricht. Mit der Posaune des „Tuba mirum“ wird der Raum zur Bühne. Durch ein Gitter blicken wir in den Kerker des Gefangenen, der gekrümmt auf dem Boden liegt, blutverschmiert und gebrochen von den Qualen, die ihm seine Peiniger bereitet haben. Aber die größte Folter kommt erst noch, das Wecken der Hoffnung, die doch nur auf den Scheiterhaufen führen wird. Und jetzt singt Raymond Very in der Rolle des Kerkermeisters so sanft von der Freiheit, dass man die Tücke in keinem Ton glauben mag.

„Der Gefangene“ heißt die Oper von Luigi Dallapiccola, die Will Humburg mitten ins Mozart-Requiem hineingesetzt und gemeinsam mit Ines Krome szenisch eingerichtet hat. Das ist eine verblüffend stimmige Kombination, die beide Werke in neuem Licht erscheinen lässt. Mit einem Schlag ist es dunkel, und die nervig flimmernden Streicherklänge sind das Verbindungsscharnier zwischen der Totenmesse und dem Blick auf die gequälte Kreatur im Angesicht des Todes.

Zeitlose Geschichte von bewegender Wirkung

Das Stück spielt zur Zeit der spanischen Inquisition, seine Geschichte aber ist zeitlos. Dallapiccola fasst sie in eine zwölftönig organisierte Musik, die so sinnlich wirkt wie eine traditionelle italienische Oper, zumal in der vorbildlich plastischen Wiedergabe durch das Staatsorchester: Natalie Carl singt die Szene der klagenden Mutter als klug kalkulierte Sopranarie. In ihrem Sohn wächst die Angst bis zur Besinnungslosigkeit: Das macht Thomas Gazheli in seiner packenden Interpretation dieser Rolle hörbar. In feinen Nuancen zeichnet sein Bariton die emotionale Kurve, mischt noch ins dankbare Halleluja des vermeintlich Entkommenen ein Zittern der Angst, bis der Gefangene mit dem Wort „Freiheit“ auf den Lippen vor dem Ort seines Todes steht. Die Ausstatterin Nicola Reichert zeigt einen Hinrichtungstisch mit Zielmarkierung, und auf der hochgefahrenen Hinterbühne steht der Chor in Alltagskleidung. Es sind die in ihrer Tatenlosigkeit mitschuldigen Zuschauer einer Hinrichtung.

Das ist nicht nur ein starkes Bild, sondern auch musikalisch beklemmend, wenn die Musik im „Lacrimosa“ unvermittelt abbricht an jener Stelle, die Mozart als letzte vor seinem Tod noch notiert hat. Ein denkwürdiges Konzert, auch wenn die Aufführung am Sonntag von Pech begleitet war – just an der Nahtstelle von Mozart zu Dallapiccola streikte die Bühnentechnik, und es gab ein paar Minuten Pause, in denen die Anspannung erkennbar stieg. Dass allen Beteiligten danach ein so konzentriertes, tief bewegendes Ergebnis gelang, spricht entschieden für das starke Konzept hinter dieser Kombination.“

– Darmstädter Echo, Johannes Breckner

Requiem für den Gefangenen

Bewegend: Mozart und Dallapiccola in Darmstadt

Der Gefangene aus Luigi Dallapiccolas Einakter „Il prigioniero“ durchleidet die größte in seiner Situation anzunehmende Qual. Der Kerkermeister lässt ihn auf Befreiung und Überleben hoffen, was sich im letzten Augenblick als marternde Täuschung erweist: Der Scheiterhaufen wartet. Im Staatstheater Darmstadt sorgt Will Humburg nun für eine ungewöhnliche Aufführung des Musikdramas im Rahmen des fünften Sinfoniekonzerts. Der Generalmusikdirektor des Staatsorchesters hat zusammen mit Ines Krome ein szenisches Konzept für die zweimalige Aufführung des Werkes am gestrigen Vormittag und heute Abend erarbeitet. Eingebettet ist sie in Wolfgang Amadeus Mozarts unvollendet gebliebenes Requiem d-Moll KV 626.

Zunächst folgt das Konzert einer konventionellen Aufführung der Totenmesse, es erklingen Introitus, Kyrie, das vorgezogene Offertorium und die Sequenz bis zum „Rex tremendae“. Nie gibt Humburg der Versuchung nach, Affekte bloß zu verdoppeln, er deutet Mozarts Opus ultimum forsch, aber nie forciert im Grundtempo, was dem Chor des Musikvereins Darmstadt Gelegenheit zur natürlich bis spontan vermittelten Ausdrucksdichte gibt (Einstudierung: Thomas Eitler-de Lint).

Als der jugendlich schlanke Bass von Nicolas Legoux das „Tuba mirum“ intoniert, wird das Podium – zumindest beim zweiten Versuch nach deiner technischen Panne – zur Bühne. Aus dem Orchestergraben wächst Dallapiccolas Kerkerszene hervor, mit hohem Zaun, Schummerlicht und der blutdurchtränkten letzten Kleidung der Gefangenen. Zu den immer wieder hereinzuckenden Streichern hat als seine Mutter die Sopranistin Natalie Carl das erste Wort. Sie weitet ihr vokales Spektrum gegenüber ihrer Mozartdeutung ebenso aus wie später der Tenor Raymond Very als Kerkermeister und Großinquisitor in einer Person.

Bald nach dem Sturz Mussolinis hatte Dallapiccola 1944 mit der Arbeit an seiner zweiten Oper begonnen. Schon der Rückgriff auf Texte des 19. Jahrhunderts von Auguste de Villiers de l’Isle- Adam und Charles des Coster deutet an, dass er sie nicht als Zeitreflex, sondern als zeitlos verstand, von der Zwölftontechnik zwar beeinflusst, aber dennoch von einem soghaften Espressivo durchwirkt. Das kommt in der Darmstädter Aufführung vor allem in der grandiosen, alles überflügelnden Singdarstellung des deutschen Bassbaritons Thomas Gazheli zur Geltung. Er ist ein Leidender ohne Larmoyanz, ein ohne Rückhalt Hoffender, der zur perfekten Deklamation die Kraft und Energie dessen aufbringt, dem es ums Ganze geht. Die Seriosität und Konzentration, mit der das Staatsorchester Darmstadt sich der 1948 abgeschlossenen Partitur annimmt, dürfte zu den Großtaten des Ensembles unter der Leitung seines im nächsten Jahr scheidenden Generalmusikdirektors gehören. Dallapiccolas Chöre, aus dem Off kommend, liegen beim Opernchor des Staatstheaters Darmstadt in den besten Händen.

Ungetröstet muss der Hörer Mozarts Requiem aufnehmen, wenn das Fragment gebliebene Werk nicht in einer seiner nie wirklich befriedigenden vervollständigten Versionen zu erleben ist. Wie zu einem schwarzen Nachgesang auf den Gefangenen tritt der Chor des Musikvereins zum Ende der anderthalb pausenlosen Stunden dauernden Darmstädter Aufführung noch einmal in Erscheinung, in Straßenmänteln, wie zum Abgang bereit. Drei letzte Sequenz-Teile bringen bis zum abrupten Abreißen im „Lacrimosa“ den zwingenden Abschluss eines mutigen, klugen und tief bewegenden Konzepts.

– Axel Zibulski, FAZ Rhein-Main-Zeitung

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